22 Stunden täglich in einem 3x3 Meter großen Raum zu verbringen – das klingt nicht nur nach einem unfreiwilligen Aufenthalt in der Pferde-JVA, sondern ist für viele Boxenpferde leider ein trauriger Alltag. Dabei ist Bewegung für unsere vierbeinigen Partner nicht nur wichtig, sondern überlebenswichtig. Wer sein Pferd täglich wie einen Ferrari in der Garage stehen lässt, darf sich über quietschende Gelenke, schlechte Laune und “Unpässlichkeit” nicht wundern.
Jedoch ist nicht jede Form der Bewegung automatisch gesund und förderlich. Was Pferde also wirklich brauchen? Ein durchdachtes Bewegungsmanagement. Maßgeschneidert wie ein schickes Reitoutfit - nur eben für die Gesundheit.

Bewegung als Lebenselixier
Evolutionär betrachtet sind Pferde die perfekten Laufmaschinen. Wenn man sie lässt, sind sie quasi die Marathonläufer des Tierreichs. In freier Wildbahn legen sie, im gemütlichen Schritt, täglich zwischen 15 und 20 Kilometer zurück.
Die langsame, kontinuierliche Schrittbewegung aktiviert dabei die Muskelpumpen und unterstützt das Herz-Kreislauf-System, während der Lymphfluss angeregt und Schlackstoffe besser abtransportiert werden. Die rhythmischen Bewegungen massieren die Bauchorgane und fördern gleichzeitig auch die Darmtätigkeit – nicht umsonst sind Koliken bei bewegungsarmen Pferden deutlich häufiger vorzufinden. Für die Muskulatur und die Gelenke ist regelmäßige Bewegung ebenfalls unverzichtbar: Sie hält die Gelenke geschmeidig und die Muskeln elastisch, da die Gelenkflüssigkeit erst durch Bewegung produziert und verteilt wird. Ein stillstehendes Gelenk "rostet" buchstäblich ein. Nicht zuletzt bedeutet Bewegung auch Stressabbau. Pferde, die sich frei bewegen können, zeigen deutlich weniger Verhaltensstörungen wie z. B. Weben oder Koppen.
Der tägliche Bedarf an Bewegung ist jedoch höchst individuell. Ein 25-jähriger Araber-Opa hat bspw. andere Bedürfnisse als ein vierjähriger Warmblut-Teenager. Faktoren wie Rasse, Vorerkrankungen, Gesundheitszustand und Alter müssen zwingend berücksichtigt werden. Ein Pferd mit Hufrehe benötigt kontrollierte Bewegung, während ein junges Sportpferd durchaus mehr Bewegungsreize verkraftet.
Anatomische Grundlagen - Wie Pferde sich bewegen
Die Bewegungsmechanik des Pferdes ist ein Meisterwerk der Natur. Das Zusammenspiel von Gangarten, korrekter Gliedmaßenachse, Rückenmechanik sowie Biegung und Stellung funktioniert nur dann optimal, wenn alle Komponenten harmonisch ineinandergreifen.
Besonders spannend (und für uns Reiter oft auch eine Lebensaufgabe): Das Verständnis von Balance im Bewegungsablauf. Die Unterscheidung zwischen Schub- und Tragkraft der Hinterhand sowie eine korrekte Anlehnung sind fundamental für eine gesunde Bewegung. Ein Pferd, das nur "geschoben" wird, ohne die Hinterhand zu aktivieren, entwickelt früher oder später Probleme.
Zudem ist da noch das Fasziensystem – die geheimnisvolle Superpower des Pferdekörpers. Diese "Verpackung" der Muskeln überträgt Kräfte und speichert Energie. Einseitige oder falsche Bewegung kann zu Verklebungen im Fasziensystem führen – mit weitreichenden Folgen für den gesamten Bewegungsapparat.
Bewegungsmangel - Ursachen, Folgen, Symptome
Ein Bewegungsmangel entsteht selten über Nacht. In den meisten Fällen liegt es eher an zu wenig Zeit, schlechter Haltung oder dem Glauben, dass 20 Minuten Schritt und Trab reichen, "weil er eh faul ist".
Der Unterschied zwischen Boxenhaltung, Offenstall und Aktivstall zeigt allerdings deutliche Auswirkungen auf das natürliche Bewegungsverhalten. Während Boxenpferde oft zu wenig natürliche Bewegung haben, profitieren Pferde in gut durchdachten Offen- oder Aktivställen von konstanter, sanfter Bewegung. (Mehr zu diesem Thema findest du in meinem ausführlichen Blogartikel über die verschiedenen Haltungsformen.)
Körperliche Warnsignale ernst nehmen
Die physischen Folgen von Bewegungsmangel sind vielfältig und oft schleichend:
- Verspannungen: Besonders Rücken, Nacken und Hinterhand sind betroffen
- Gelenkprobleme: Arthrose und Gelenkergüsse entstehen durch mangelnde Gelenkschmierung
- Verdauungsstörungen: Von leichten Koliken bis hin zu chronischen Problemen
- Übergewicht: Bewegungsarme Pferde neigen zur Gewichtszunahme mit allen Folgeerkrankungen
Psychische Folgen nicht unterschätzen
Klingt übertrieben? Ist es nicht. Pferde, die zu wenig Bewegung bekommen, entwickeln schnell eine kreative Bandbreite an Verhaltensauffälligkeiten. Von „Boxenlauf-Weltmeister“ über „Weben mit Schwung“ bis hin zum „Koppen mit Geräuschkulisse“ ist alles dabei.

Mehr als nur Reiten: Bewegungsreize richtig setzen
Bewegung ist nicht gleich "sich draufsetzen und hoffen, dass es läuft". Ein effektives Bewegungsmanagement folgt klaren Prinzipien: systematischer Aufbau, durchdachte Belastungssteuerung und ausreichende Regenerationsphasen. Wie beim menschlichen Sport gilt auch für Pferde: Ohne Pause keine Leistungssteigerung. Der Schlüssel zum Erfolg ist Training mit Verstand statt Willkürlichkeit.
Außerdem ist Abwechslung im Training das A und O. Longieren, spazieren gehen, Freilaufen, Bodenarbeit, Ausreiten, Cavaletti-Arbeit, etc. sprechen verschiedene Muskelgruppen an und so bleibt das Training abwechslungsreich. So wird nicht nur der Körper, sondern auch der Kopf trainiert. Ein Pferd, das nur in der Halle geritten wird, entwickelt einseitige Belastungsmuster, die langfristig zu Problemen führen können.
Zudem ist Bewegung ohne Reiten mindestens genauso wichtig wie die gerittene Arbeit. Führmaschinen, Trails oder einfache Spaziergänge bieten hier eine wertvolle Ergänzung. Besonders wenn ein (intensives) Training vermieden werden sollte, sind sanfte Bewegungsformen ideal.
Was aber in jedem Fall wichtig ist: Die Trainingsgestaltung muss individuell angepasst werden. Jungpferde benötigen andere Reize als Senioren, Freizeitpferde andere als Sportpferde und Kranke andere als Gesunde. Ein 20-jähriger Rentner kann durchaus noch aktiv sein – nur eben anders als mit vier Jahren. Oft werden auch die Aufwärm- und Cool-down-Phasen unterschätzt. Dabei sind sie elementar wichtig.
Ein enger Zusammenhang besteht auch zwischen dem Bedürfnis nach sozialem Kontakt und Bewegung. In gut funktionierenden Herden wird gemeinsam gefressen, gedöst – und ja, auch bewegt. Die Gruppe gibt Sicherheit und Motivation. Wer hätte gedacht, dass die Herde eigentlich der Personal Trainer im Pelzmantel ist?
Gesund durch Bewegung: Prävention und Heilung in einem
Man darf nicht vergessen, dass regelmäßige, angemessene Bewegung die beste Vorbeugung gegen Zivilisationskrankheiten ist. EMS (Equines Metabolisches Syndrom), Arthrose oder Koliken – all das liebt ein bewegungsarmes Pferdeleben ungefähr so sehr wie wir Zahnarzttermine.
Und ist es doch mal zu einer Krankheit gekommen, wird Bewegung in der Rekonvaleszenz oft zur Medizin. Allerdings ist hier Fingerspitzengefühl gefragt! Was ist sinnvoll, was ist kontraproduktiv? Nach Verletzungen oder bei chronischen Erkrankungen muss die Bewegungstherapie individuell angepasst werden. Ein Pferd mit akuter Hufrehe benötigt völlig andere Bewegungsreize als eines in der Arthrose-Rehabilitation.
Fazit: Bewusste Bewegung für nachhaltige Pferdegesundheit
Die Quintessenz ist simpel - ja, fast schon langweilig: Wer sein Pferd gesund erhalten will, muss es ausreichend und sinnvoll bewegen. Es ist kein Hexenwerk, aber eben auch nichts, was man “mal so nebenbei” macht.
Nachhaltige Bewegung bedeutet, die individuellen Bedürfnisse zu erkennen und entsprechend zu handeln. Also, in diesem Sinne: Raus mit euch, liebe Pförde-Community! Bewegt eure Pferde, als ob ihre Gesundheit davon abhängt. Denn – Überraschung – das tut sie auch!
